Liebe Rotenburger Bürgerinnen und Bürger
Liebe Mitstreiter aus den Bürgerinitiativen
Für die, die uns nicht kennen, möchte ich unser „Gemeinnütziges Netzwerk für Umweltkranke“, GENUK e.V. vorstellen, für das ich hier spreche. GENUK hat im Frühjahr 2013 die Frage möglicher Gesundheitsschäden durch 70 Jahre Erdgasförderung in ROW zunächst in Wittorf aufgeworfen und mit örtlichen Initiativen weiterentwickelt.[1]
Warum sind wir hier?
Es ist nicht mehr die Frage, ob hier im Gasland eine gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung vorliegt.
Das wissen wir.
Wir wissen inzwischen auch, dass in dem Erdölförderdorf Rodewald im Kreis Nienburg zwischen 2004 und 2007 eine signifikant erhöhte Kinderleukamie-Rate vorliegt.
Wir haben also kein lokales oder regionales Problem – es ist eins, dass sich in auffälliger Nähe zu Gas- und Öl-Förderstellen findet.
Nicht zuletzt wegen der alarmierenden Berichte über Gesundheitsschädigungen durch Fracking hat der US-Bundesstaat New York Fracking grundsätzlich verboten!
Es ist auch nicht mehr die Frage, ob Behörden und Politik im Sinne des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung angemessen reagieren. Das wissen wir auch, sie tun es nicht – was sie tun, ist viel zu wenig und es wird nicht zu dem Ergebnis führen, dass wir wollen:
eine Aufklärung, warum hier eine gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung vorliegt.
Es ist vielmehr jetzt die Frage, wie wir in unserem organisierten Protest die politisch Verantwortlichen dazu bringen können, eine wirklich überzeugende Aufklärung zustande zu bringen.
Wenn etwas mit epidemischer Häufigkeit auftritt, – und das muss keine ansteckende Krankheit sein – spricht man von der epidemiologischen Erforschung der Ursachen.
Es muss eine breit angelegte universitäre epidemiologische Studie vom Land Niedersachsen auf den Weg gebracht werden, um den Zusammenhang zwischen Krebs und Gasförderung zu klären.
Ohne eine solche Studie bleibt alle immer im Ungefähren, im Vagen.
Nur durch solch eine Studie kann unwiderlegbar die Gas- und Ölindustrie als ursächlich oder nicht-ursächlich für vermehrte Krebsentstehung identifiziert werden.
Alles ohne Studie im Ungefähren belassen, das ist das, was die Öl- und Gasindustrie und offenbar auch Wirtschaftsminister Lies gern möchten:
denn beide setzen auf das Fracking im Sandgestein im großen Stil – um mit kleinen einstelligen Zahlen sogenanntes „heimisches Gas“ zu liefern. Selbst wenn es insgesamt für ein paar Jahre bis zu 10 % ergäbe: 90 % müssten weiterhin und dauerhaft importiert werden!
Die Menschen in den Fördergebieten sollen ihre Gesundheit opfern – wofür?
Die Fakten über die signifikant erhöhten Krebsraten in der Samtgemeinde Bothel sowie der Gemeinde Stadt Rotenburg sind nun seit Herbst 2014 hinlänglich bekannt.
Aber was tun die ganz klar nach Bundesbergrecht verantwortlichen Landesbehörden, um die Aufklärung über die Ursachen der auffälligen Krebsraten voranzutreiben?
Erschreckend wenig!
Und das Wenige, was sie tun, wird nicht zu dem Ergebnis führen, das wir wollen: eine wirkliche Aufklärung und keine Augenwischerei, die sich darum drückt,
- Das Vorliegen einer Gefahrenlage anzuerkennen – denn niemand weiß, ob und wann die Bedrohung der Gesundheit vorüber ist und potenzielle Gefahrenquellen stillzulegen
- Anzuerkennen, dass nicht der Landkreis sondern in erster Linie das Wirtschaftministerium nach dem Bundesberggesetz die Verantwortung für die „Gesundheit Dritter“ trägt
- Geld in die Hand zu nehmen, ohne dass der Steuerzahler nach all den Unterlassungen der letzten Jahrzehnte auch noch die Rechnung zu zahlen hat
- Die Aufklärung einer renommierten und in umwelt-epidemiologischen Studien versierten Universität zu übergeben
Ist dies alles ein niedersächsisches Phänomen?
Keineswegs!
Haben wir in Deutschland überhaupt ein Recht auf Gesundheit?
Nein!
Haben wir ein Recht auf körperliche Unversehrtheit?
Auf dem Papier, im Grundgesetz: ja!
Haben wir ein Recht auf Strafverfolgung bei Schädigung unserer Gesundheit?
Im Strafgesetzbuch ja! Praktisch wird dies nicht durchgesetzt.
Jegliche Form der Körperverletzung ist strafbar.
Aber: Ist dieser Schutz für den Einzelnen faktisch bei Verletzungen durch chemische Stoffe und Strahlen gewährleistet?
Definitiv nicht!
Wird die Gesundheit der Bevölkerung nicht nur im Falle Einzelner, sondern in epidemischem Ausmaß geschädigt, greift dann der Staat ein, legt potenzielle Gefahrenquellen still, leitet große epidemiologische Studien ein und weitet die Präventionsmaßnahmen aus?
Nein!
Haben wir als Bürger ein Recht auf das Tätigwerden des Staates?
Nein! Haben wir nicht!
Ist das im europäischen Rahmen verankerte Vorsorgeprinzip eine gesetzliche Regulierung, die den Bürgern Rechtssicherheit leistet?
Nur insoweit, als es einzelnen Urteilen zufolge bereits durch Gerichte definiert ist. Selbst das „Bundesinstitut für Risikobewertung“ sieht sich eher Handelsrichtlinien als dem Vorsorgeprinzip verpflichtet!
Und nun ist auch dies noch in Gefahr:
transatlantische Industrievertreter verhandeln über die Köpfe der Bürger und ganzer demokratischen Systeme hinweg die Freihandelsabkommen CETA und TTIP (später auch noch TISA) – und denen soll dann im Einverständnis mit den EU-Institutionen das Vorsorgeprinzip zum Opfer fallen.
Ist in Deutschland die Gesundheit ein „Öffentliches Gut“?
Nein! Gesundheit ist zu einer Ware geworden – Krankheit zu einem Marktplatz!
Haben tausende und abertausende von Umweltkranken in Deutschland jemals eine Anerkenntnis ihrer Chemikalien- oder Strahlenbelastung erfahren?
Eindeutig: nein!
Gibt es in Deutschland bei einer solch weit verbreiteten vielfachen Emission von schädlichen Stoffen und Strahlen eine flächendeckende Versorgung durch niedergelassene Klinische Umweltmediziner?
Wieder nein! Fehlanzeige!
Haben wir ein ständig weiterentwickeltes Umweltstrafrecht, das uns vor industriellen Feldversuchen an unserer Gesundheit schützt?
Mitnichten!
Haben wir eine Landesregierung, die uns tatsächlich vor schädigenden Industrie-Emissionen schützt?
Wirtschaftsminister Lies sagte bei der ersten Lesung des Fracking-Gesetzespakets am 7. Mai 2015 im Bundestag Folgendes:
„Aber, meine Damen und Herren, es geht auch um die Verantwortung für den Technologie- und Industriestandort Deutschland, (über den wir hier heute reden). Themen wie Trink- und Grundwasserschutz, Natur- und Landschaftsschutz und Erhalt der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger stehen für uns als Landesregierung in Niedersachsen auf einer Stufe mit den Interessen der Rohstoffgewinnung aus heimischen Lagerstätten.“
Wirtschaftsminister Lies setzt angesichts der mangelnden Mitbestimmungs-Möglichkeiten der Bevölkerung über Industriepolitik damit unsere Lebensinteressen mit den Interessen der Rohstoffkonzerne AUF EINE STUFE !
Unser Wirtschaftsminister kehrt einfach einmal die Höher-Rangigkeit unserer Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Erhaltung unserer Lebensgrundlagen zugunsten von letztlich privatwirtschaftlichen Interessen um.
Wir brauchen aber keine Politiker, die sich ständig darum sorgen, dass ihre „Nähe zur Wirtschaft“ auch wirklich nah genug ist.
Nein, wir brauchen Politiker, die das Gegenteil tun, die keine Nähe, sondern ein Ferne von der Wirtschaft aufbauen, um so gesamtwirtschaftlich ihrem Auftrag als Volksvertreter überhaupt politisch gerecht werden zu können!
Selbst die nun wirklich nicht antikapitalistischen Mitglieder der Rockefeller-Familie sind in einem Punkte weiter als unsere gesamte Bundesregierung:
Für „moralisch verwerflich“ erklärte diese Woche die – ehemals aus Petrodollars finanzierte – Rockefeller Foundation das Verhalten von Exxon bezüglich des Klimawandels und zieht seine Anteile aus dem Exxon-Konzern zurück: „Wir können nicht mit einem Unternehmen in Verbindung gebracht werden, das dem öffentlichen Interesse anscheinend Verachtung entgegenbringt“.
Diesen Vorwurf könnte man auch der Neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte machen:
Immer weniger Handeln im Sinne der Mehrheit und immer mehr im Sinne einer noch dazu immer kleiner werdenden Geld-Aristokratie!
Denn 62 Menschen besitzen so viel wie 3,6 Milliarden Menschen!
Was aber, wenn wir erneut den in der französischen Revolution gebildeten Begriff des „Volontè Générale“, also das Gesamtinteresse der Allgemeinheit, wieder in den Vordergrund stellen?
Was, wenn wir beginnen, unsere Grundinteressen wie die der allgemeinen Daseinsvorsorge gemeinschaftlich einzufordern, indem vorhandene Strukturen kollektiver Sicherungssysteme gestärkt und neue aufgebaut werden?
Dann schaffen wir die wirklich solidarischen gesellschaftlichen Strukturen, die Einfluss auf die Teilhabe aller an der wirtschaftlichen Produktivität nehmen können!
Verändern wir das Land und dadurch seine internationalen Beziehungen auf Basis von friedlicher, solidarischer Chancengleichheit – bevor uns die neofeudalen Strukturen ihre autoritären, kriegerischen und Lebensgrundlagen vernichtenden Regimes aufzwingen!
- Wir klagen die Landesregierung an, bisher keinerlei sichtbare politische und moralische Konsequenzen aus den durch Bürgerinitiativen aufgedeckten Umweltschäden und den potenziell durch Industrieeinflüsse verursachten erhöhten Krebsraten gezogen zu haben.
- Wir fordern von der Landesregierung – inzwischen zusammen mit 212 Ärzten im Landkreis – umgehend die Beauftragung einer universitären epidemiologischen Studie zur Aufklärung der Ursachen der Krebserkrankungen in Niedersachsen
- Wir fordern die Landesregierung auf, umgehend einen öffentlich verwalteten Fonds aus Öl- und Gasindustrie-Geldern in Mindesthöhe von 500.000 € aufzulegen, aus denen die epidemiologischen und weitere Studien finanziert werden.
- Wir fordern die Landesregierung auf, eine aktive Einbeziehung der fachkundigen Bürger und ihrer Initiativen in die Aufklärung über die verheerenden Unterlassungen im Umwelt- und Gesundheitsschutz in 70 Jahren Erdgas- und Erdölförderung in Niedersachsen in die Wege zu leiten.
- Wir fordern die Landesregierung auf, umgehend eine Innovationsoffensive für die Entwicklung umwelt- und gesundheitsverträglicher nicht-fossiler Energieproduktion und –versorgung unter Einbeziehung kundiger Bürger zu starten
Nicht mehr vorgelesene Forderungen an die Bundespolitik:
- Wir fordern von der Bundesregierung, die Entwicklung dezentraler Energieversorgung mit nicht-fossiler Energieerzeugung nachhaltig zu sichern
- Wir fordern von der Bundesregierung ein Fracking-Verbot, im § 49 des Bundesberggesetzes verankert!
- Wir fordern von der Bundesregierung, dass die von Beginn an antidemokratischen Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA, TTIP und TISA eingestellt werden!
[1] Siehe Historie zum Wirken über GENUK-Aktivitäten am Ende der Rede
Gemeinnütziges Netzwerk für Umweltkranke, GENUK e.V.
2016-03-26 von Kathrin Otte
Kurze Historie zum Wirken von GENUK bei der Aufklärung über Gesundheitsschäden im Kontext mit der Gas- und Ölförderung in konventionellen Lagerstätten:
- Das Gemeinnützige Netzwerk für Umweltkranke, GENUK e.V. hatte bereits im Jahr 2012 Kontakt nach Verden aufgenommen, wo sich nach einem Filmbericht in Allerdorf Krebsfälle häuften, die dort im Kontext zur Gasindustrie vermutet wurden.
- GENUK kam im Mai 2013 in Kontakt mit umweltbedingt Erkrankten in Wittorf/Visselhövede, die ihre Beschwerden und Schädigungen im direkten Zusammenhang mit den umliegenden Gasförderstellen (Bellen ist via Luftlinie nur 7 km entfernt) und insbesondere durch die räumliche Nähe zur Verpressstelle von (damals noch RWE) Dea in Grapenmühlen, 400 m vom Ortseingang entfernt.
- GENUK hat sich im Sommer 2013 sehr aktiv an der Gründung der WUG, „Wittorfer für Umwelt und Gesundheit“ beteiligt.
- Im August 2013 schrieb GENUK einen Brief an die die niedersächsischen Ministerien für Wirtschaft, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung sowie Umwelt, in dem eine große „Begleitstudie“ zur Aufklärung auffälliger Krankheitsfälle und aus verschiedenen Orten berichtete Krebshäufungen gefordert wurde.
- Ab Oktober 2013 gab es eine Zusage für einen Termin mit dem Landesgesundheitsamt mit GENUK unter Teilnahme einer Vertreterin des MS (Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung). Seit Dezember 2013 ist GENUK Teilnehmer an der bis heute bestehenden Arbeitsgruppe in Hannover.
- GENUK engagierte sich im Herbst 2013 bis zur Gründungsveranstaltung im Januar 2014 für den Aufbau der Bürgerinitiative für Gesundheit, BIG, in Hemslingen/Söhlingen, wo eine Unterschriftenliste durch eine Anwohnerin auffällig hohe allgemeine Krebsraten vermuten ließ und lässt.
- GENUK nimmt seit Februar 2014 an der Arbeitsgruppe im Gesundheitsamt Rotenburg zusammen mit dem NLGA, einer Vertreterin des MS teil. Anfangs konnten wir unter Hinzuziehung unseres wissenschaftlichen Beirats an der Erstellung der Krebsregisterabfrage mitwirken – später gelang uns auch die Hinzuziehung örtlicher BI-Vertreter – seit Feststellung der signifikanten hämatologischen Krebsraten in Bothel geht es um die Weiterführung der Aufklärungsbemühungen vor Ort – wie die Mitarbeit an dem Fragebogen, der den Botheler Bürgern zugestellt wurde und dessen Rücklauf derzeit noch ausgewertet wird.
- GENUK gründet im Mai 2014 das „Team Gesundheit“ in www.Gegen-Gasbohren.de mit, einem bundesweiten Netzwerk gegen Gas- und Ölförderung in konventionellen wie unkonventionellen Lagerstätten mit 70 Bürgerinititativen.
- Seit Herbst 2015 ist GENUK nach Teilrecherche in dem Erdölförderdorf Rodewald im Landkreis Nienburg und nach Offenlegung belegter Fälle von Kinderleukämie und hämatologischen Fällen bei Erwachsenen durch den NDR-Beitrag in „Markt“ Mitglied in der Nienburger Arbeitsgruppe im dortigen Gesundheitsamt mit Vertretern des NLGA, MS, EKN und (Samt-)Gemeinde-Vertretern. Eine signifikante Erhöhung der Kinderleukämierate wurde am 17. Januar durch das Kinderkrebsregister in Mainz bestätigt, das EKN wird der AG voraussichtlich im April die Bewertung aller Altersgruppen in Bezug auf hämatologische Krebserkrankungen vorlegen. Laut einem TÜV-Gutachten wurden Benzolwerte in Rodewald am zentral gelegenen Werksplatz zwischen 1980 und 1990 um den Faktor 378 überschritten (statt 5 mg/m³Luft waren es bis zu 1890 mg/m³ Luft).
- Seit Januar 2016 wird unsere seit nunmehr 2 ½ Jahren erhobene Forderung nach einer universitären Studie zur Aufklärung der gehäuften Krebsraten nun auch von 212 Ärzten im Landkreis Rotenburg-Wümme unterstützt.- nach heutigem Kenntnisstand würden wir die Studie aber Niedersachsen-weit in Bezug auf langjährige Öl- und Gasförderplätze anlegen.